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Text: Jan Killian Klaus und Jan vom Podcast "Reich durch Radeln" haben uns besucht und uns diesen Text dagelassen. Den Link zum ganzen Interview zum Anhören findet ihr unten.
Julian, Patrick und Fernanda hatten den Traum vom Fahrradcafé – acht Jahre später sind sie United in Cycling und vereinen Räder, Kaffee, Mehlspeisen, Radkurse und Werkstatt in ihrem Kinderfahrrad- und Kuchenkompetenz-Cluster, in der Seestadt Aspern, dem großstädtischen Experimentierfeld im fernen Osten Wiens.
Fernanda Aparecida de Souza verbringt ihre Kindheit in einem Dorf in Brasilien. Alltagswege legt die Mutter mit dem Fahrrad zurück. Für ein Auto fehlt das Geld und im Dorf fahren alle mit dem Rad. Fernandas Beine reichen zwar nicht bis zum Boden, aber sie schnappt sich Mamas Fahrrad bei jeder Gelegenheit. Danach ist das Rad ein Fall für die Werkstatt. Fernanda wird mitsamt dem Drahtesel in der Werkstatt abgegeben und beobachtet fasziniert die geschickten Handgriffe des Mechanikers. Das Fahrrad wird ihr täglicher Begleiter, mittlerweile kann sie auch mit den Fußspitzen den Boden berühren. Ihre zweite Leidenschaft ist das Backen und schon im Volksschulalter verkauft sie ihre selbstgebackenen Kuchen auf der Straße. Ein paar Jahre später- Fernanda ist eine junge Frau und angehende Lehrerin – geht sie als Au-Pair nach Wien und verliebt sich in Julian.
Julian Walkowiak wächst in einer kleinen Gemeinde in Salzburg auf. Das Haus seiner Eltern steht oben am Hügel und der schönste Teil seines Schulweges ist es, die Straße von seinem Haus hinunterzudüsen. Der zweitschönste ist es den steilen Weg wieder nach oben zu radeln, denn Julian liebt das Radfahren in jeder Form, die Freiheit und die Unabhängigkeit. Als Student der Pädagogik in der Hauptstadt beginnt ihm, etwas zu fehlen. Er kann es nicht genau definieren – er liebt die Möglichkeiten der Stadt und ihre schnellen U-Bahnen- und doch fühlt er sich entfremdet unter der Erde. Erst als Julian sich wieder ein Fahrrad zulegt, erinnert er sich an das Gefühl der Freiheit seiner Kindheitstage. Und er will mehr, als nur von der WG zur Uni zu fahren. Also entdeckt er das Radreisen für sich, und weil Julian sinnstiftend unterwegs sein will, organisiert er gleich Radreisen mit Studenten. Er sammelt Geld, um umweltfreundliche Mobilität für Studierende in anderen Ländern zu fördern. Auf seinen Reisen begleitet ihn Patrick.
Patrick Bischoff hat auch Lehrer gelernt. Aber eigentlich will er an Rädern schrauben. Am liebsten in einem italienischen Dorf. Kaputtes wieder ganz zu machen ist seine erste Leidenschaft. Kindern das Radfahren beizubringen, seine zweite. Patrick organisiert Radfahrkurse für die Kleinsten. Mit dieser Idee kann er seine beiden Leben unter einen Hut bringen. Mit viel Einfühlungsvermögen und seinem pädagogischen Background bringt er sie alle aufs Rad. Die Schüchternen ermutigt er, die Wilden lässt er Rennen fahren. Bevor Fernandas Visum abläuft, werden die drei noch auf eine letzte gemeinsame Radreise gehen.
Das könnte der Punkt sein, an dem die Vernunft siegt. Der sichere Lehrberuf, Fernandas Rückkehr in die Heimat, das Ende ihrer Beziehung mit Ablaufdatum. Es kommt anders. „Wir machen ein Fahrradcafé!“ Julian wird den Verkauf und Radreisen organisieren, Patrick die Werkstatt und Fernanda die gastronomische Komponente. In einem Stadtentwicklungsprojekt wird für eine Wohngruppe in der Sockelzone ein Betreiber für ein Radgeschäft gesucht. Die drei tüfteln mit ihrem Nachbarn, einem Architekten, ein Konzept aus, reichen es ein und hören nichts mehr. Inzwischen, am anderen Ende von Wien, ist ein neuer Stadtteil im Entstehen: die Seestadt Aspern. Autofrei, direkt an die U-Bahn angebunden, mit viel Platz für Ideen und offen für neue Konzepte. Für die Einkaufsstraße wird ein Geschäft mietfrei zur Verfügung gestellt – das beste Konzept bekommt den Zuschlag. Unsere drei Helden holen ihr fertiges Konzept aus der Schublade und gewinnen damit den Wettbewerb. Jetzt haben sie ein Lokal und ziemlich viele Ideen. Von der Umsetzung verstehen sie allerdings eher wenig. Auch nicht von Bilanzen, Kostenrechnung und dergleichen. Die neuen Stadteilbewohner kommen staunend in ihr Geschäft – da stehen ein paar Fahrräder, eine Kaffeemaschine, ein Tisch. Was hier eigentlich verkauft wird, ist nicht so ganz klar. Wien ist eine aufgeräumte Stadt, nicht Berlin oder London, wo Improvisation zur Kunstform erhoben wird.
Das könnte der Punkt sein, an dem Leidenschaft gepaart mit Unwissenheit, in eine Sackgasse des Scheiterns führt. Überforderung, Interessenskonflikte, Schuldnerberatung. Es kommt anders. Viele junge Familien ziehen in die Modellsiedlung. Es gibt enorme Nachfrage nach Kinderfahrrädern. Fahrradgeschäfte mit kompetenter Beratung gibt es hier draußen weit und breit keine. Aber es gibt dieses sympathische Straßenlokal, heißt es nicht United in Cycling? Dort, wo diese fröhliche Brasilianerin, mit der man bei einem Kaffee stundenlang tratschen kann, so unglaublich guten Banoffee Pie macht. Machen die nicht auch was mit Rädern? Haben die nicht diese woom- Kinderfahrräder im Programm?
Schnell spricht sich in der Stadt herum, dass es ein Geschäft gibt, das auf Kinderfahrräder spezialisiert ist. Eltern aus ganz Wien fahren an den Stadtrand zu Julian, Fernanda und Patrick. Sie wollten etwas mit Fahrrädern und Kindern machen. Jetzt machen Kinderfahrräder was mit ihnen – sie geben drei Träumern die Chance, erfolgreich zu sein. United in Cycling wächst.
Für die Eltern, die sich nicht ständig ein neues Rad für ihren Nachwuchs leisten können, entwickelt Julian ein Rad-Abo. Jedes Kind soll immer ein Rad in der passenden Größe haben. Und weil nicht mehr so viel Zeit für die Radreisen in ferne Länder bleibt, holen sich Julian, Patrick und Fernanda ein internationales Team als Verstärkung. 17 verschiedene Nationalitäten arbeiten in ihrem Geschäft. Julian und Fernanda ziehen in eine Wohngruppe in der Seestadt und werden Teil der Community. United in Cycling übersiedelt in ein größeres Geschäftslokal. Nicht mehr in der Einkaufsstraße, sondern an einem großen Platz, gleich neben der U-Bahn. Direkt vor dem Geschäft drehen die Kinder mit Patricks Hilfe die ersten Runden auf ihren neuen woom- Bikes.
Das könnte der Punkt sein, an dem die Marktmechanik unaufhaltsam den Weg bestimmt. Wachstum, skalieren, Franchising. „Wir haben gefunden, was wir gesucht haben.“, sagt Julian. „Wir haben den perfekten Platz gefunden, um unseren Traum zu verwirklichen. Ich kann nicht sagen, was wir in fünf Jahren machen, aber heute genießen wir, dass wir mit dem, was wir lieben, Erfolg haben“
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